Die Bibliothekare 02 - Die maskierte Stadt (Fsy) by Genevieve Cogman

Die Bibliothekare 02 - Die maskierte Stadt (Fsy) by Genevieve Cogman

Autor:Genevieve Cogman [Cogman, Genevieve]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


FÜNFZEHNTES KAPITEL

Am Ende war es die völlige Erschöpfung, die Irene zwang, das, was von der Nacht noch übriggeblieben war, in einem der Wäscheschränke des Gritti-Palastes zu verbringen. In gestohlener Kleidung und mit dem Geruch von Kanalwasser behaftet hatte sie sich auf einem Stapel Bettdecken zusammenrollen müssen. Es war nicht die unbequemste Nacht, die sie jemals verbracht hatte, aber es war immer noch weit von dem entfernt, was man sich im Allgemeinen als idealen Venedig-Urlaub vorstellt.

Sie wurde durch das Geläut von Glocken geweckt. Das Geräusch drang durch die Hotelwände bis in den winzigen Schrank hinein, und Irene schreckte aus dem Schlaf. Sie knallte mit dem Kopf gegen das unterste Regal und blinzelte in der Dunkelheit. Es dauerte einen Augenblick, bis sie sich orientiert hatte. Und die Glocken läuteten immer noch, gewöhnten sich dabei in ihre eigenen Rhythmen von Tempo und Tonfall ein und klangen irgendwie harmonisch trotz fehlender Einheitlichkeit. In der Hoffnung, die Uhrzeit zu erraten, versuchte Irene die Schläge zu zählen. Doch angesichts der Vielstimmigkeit des Geläuts schaffte sie es nicht, zu bestimmen, wie viel Zeit ihr noch bis Mitternacht und damit bis zur Auktion blieb.

Als sie und Zayanna den Gritti-Palast erreicht hatten – nach ein paar geringfügigen Vorkommnissen, die den Diebstahl von zwei Kleidern einschlossen –, war sie so erschöpft gewesen, dass es ihr nur mit Mühe gelang, nicht auf der Stelle zusammenzubrechen. Zu jener Zeit war es schon zwei oder drei Uhr in der Früh gewesen, doch das Hotel war immer noch hell erleuchtet und voller Leute, die in den Gängen hin und her rannten. Irene hatte nur ein paar Schreie, wie »Du lieber Gott, mein Ehemann!« und »Schnell, versteck dich hinter den Vorhängen!«, hören müssen, um aller Merkmale einer Schlafzimmer-Schmierenkomödie gewahr zu werden. Möglicherweise auch mehrerer Schlafzimmer-Schmierenkomödien, die alle gleichzeitig stattfanden. Unter solchen Bedingungen hatte sie nicht in irgendeinen Raum gehen wollen, der auch nur in der Nähe von Silvers Schlafzimmer lag.

Sie und Zayanna hatten sich getrennt, vorgeblich, um ihre jeweiligen Schirmherren aufzusuchen. Irene vermutete jedoch, dass Zayanna mehr daran interessiert gewesen war, weiteren Alkohol zu finden. Sie konnte es ihr nicht verdenken. Sie wäre selbst für ein oder zwei Gläser Brandy dankbar gewesen.

Jetzt aber herrschte Ruhe. Allem Anschein nach war es Morgen. Zeit, aus ihrem kleinen Nest hinauszuschleichen und Silver zu finden – und dann hoffentlich ein paar weitere Informationen aus ihm herauszubekommen.

Sobald sie aus dem Wäscheschrank geklettert war, wurde klar, dass diese Elfen, wie die meisten moralisch verdorbenen Aristokraten, nicht früh aufstanden. Und wenn es eine dichterische metaphorische Redewendung gab, derzufolge ein früher Start in den Morgen erforderlich war, um zu einem ganzen Tag voller Ausschweifungen zu passen, so musste Irene erst noch jemandem begegnen, auf den dieser bildliche Ausdruck zutraf. Bei den einzigen Personen, die bislang wach waren, handelte es sich um Hausmädchen, Diener und niedere Grade von Bediensteten, die umherliefen und Tabletts mit Essen oder Bekleidungsstapel trugen. Dies machte es sehr einfach für Irene, einen Stapel Betttücher an sich zu nehmen und sich bei den gestresst hin und her eilenden Dienstboten einzureihen. Sie passte genau in diese Rolle hinein.



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